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Eine Filmpremiere im Kino, das wäre Filmemacher Enno Seifried zu langweilig gewesen. Seinen Dokumentarfilm „Vergessen im Harz II“ zeigt er lieber an einem besonderen Ort: dem ehemaligen Hotel Zehnpfund in Thale im Harz. Hier nächtigte schon Theodor Fontane. Es ist die perfekte Kulisse für einen Film über alte Gebäude und über die Menschen, die mit diesen Gebäuden eng verbunden sind. Die Szenen sind oft sehr emotional, zum Beispiel wenn Klaus Kleinau erzählt, wie es war, ein NS-Eliteschüler zu sein und wie er heute dazu steht…
Wir sitzen wenige Minuten vor der Vorführung seines Filmes „Vergessen im Harz II“ zusammen im alten Hotel Zehnpfund in Thale. Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts was das Zehnpfund ein renommiertes Hotel, in dem die Oberklasse schlief, später im Krieg ein Lazarett. Seit 13 Jahren steht das Gebäude leer, es ist ein „Lost Place“, ein vergessener Ort. Ob es gelingen wird, es zu erhalten, ist noch offen. Vielleicht werden Eigentumswohnungen darin gebaut. Gleich werden 400 begeisterte Menschen in dem imposanten Saal im ersten Stock sitzen. Aber jetzt erzählt erstmal Enno….
WAS FASZINIERT DICH AN LOST PLACES?
Ich bin seit vielen Jahren in Sachen Lost Places unterwegs, vorrangig als Fotograf. Und ich habe mir bei den Gebäuden immer die Frage gestellt: Was war hier mal los? Ich wollte mit Menschen reden, die das noch erlebt haben. Nach den ersten Gesprächen mit Zeitzeugen habe ich gedacht, dass das super Stoff für Dokumentarfilme ist. Fotos von Lost Places sieht man ja unglaublich viele im Netz, das ist Wahnsinn inzwischen. Aber die Geschichten dahinter, das kommt viel zu kurz und das ist im Endeffekt das, was mich noch mehr interessiert. Die Menschen transportieren das noch mal anders.
UND WESHALB SPEZIELL DER HARZ?
Der Harz war Zufall. Wir haben vorher Filme über Leipzig gedreht und dann war ich 2010 im Harz wandern. Da entdeckte ich die ersten Lost Places. Wir waren grad‘ bei der Arbeit für den letzten Leipzig-Film und ich hatte schon überlegt: „Mensch, was mache ich denn danach?“. Und da war klar, der Harz bietet sich einfach an, die Natur ist superschön, ein saugeiler Drehort. Weil man beides hat, Landschaft und Lost Places. Perfekt
UND WAS IST ES, WAS DICH AN DIE ORTE ZIEHT? VON DEN ZEITZEUGEN ABGESEHEN?
Es hat einfach etwas, Orte wie ein altes Sanatorium zu betreten. Das ist der Entdeckerdrang, der in einem steckt. Das sind Orte, da war lange niemand mehr und es ist alles ein bisschen mystisch. Da ist so eine Anziehungskraft, die ist einfach da. Ich will überall hingucken.
WARUM HAST DU DIR DAS HOTEL ZEHNPFUND FÜR DEINE VORFÜHRUNG AUSGESUCHT?
Man könnte, wenn man einen Film macht, einfach ein Premieren-Wochenende in einem Kino planen. Das wäre logistisch deutlich einfacher, aber das wäre auch langweilig. Es ist geiler, es passend zum Thema in so einem alten Gebäude zu machen. Das Hotel Zehnpfund kommt ja auch im Film vor und als ich damals hier gedreht und diesen Saal gesehen habe, dachte ich: „Bäääääm! Das ist der perfekte Ort!“ Dann ging es zur Stadt, Bauantrag, ob es überhaupt geht. Die waren super kooperativ, haben sich gefreut über die Anfrage. Manche denken ja, man will irgendetwas Negatives, man würde den Harz schlecht machen wollen. Aber das ist ja überhaupt nicht mein Anliegen. Genau das Gegenteil der Fall, die Filme sind eine Liebeserklärung an den Harz.
HIER IM HOTEL STEHT ZUR FILMVORFÜHRUNG VIEL ALTE DEKO HERUM, WO HABT IHR DIE HER?
Die Deko stammt größtenteils aus dem Zehnpfund selber. Diverse Teile wie Lampen etc. haben wir von Zuhause mitgebracht. So steht von jedem Filmcrewmitglied hier und da ein wenig Wohnungseinrichtung herum.
DU HAST VIELE ZEITZEUGEN FÜR DEINEN FILM BEFRAGT, WELCHE GESCHICHTE HAT DICH AM MEISTEN BEEINDRUCKT?
Im aktuellen Film ist es Klaus Kleinau, ein ehemaliger NS-Eliteschüler einer Nationalpolitischen Schule. Das ist sehr krass, weil er uns gegenüber sehr offen über das Thema gesprochen hat und wahnsinnig reflektiert ist. Er beschreibt in dem Film, dass seine alten Schulkameraden Klassentreffen gemacht haben und dass sie immer noch alle der NS-Ideologie hinterherrennen. Wenn sie ihm Briefe geschrieben haben, fehlte nur noch das „Heil Hitler“ drunter. Es ist beeindruckend, dass er da gedanklich so rausgekommen ist. Heute sagt er, dass eine Euphorie, die in den Untergang führt, nichts wert ist. Er war zwischen 11 und 17 Jahre alt, als er in diese Schule gegangen ist und das ist ja schon die Zeit, die einen krass prägt. Jetzt denkt er komplett anders und begreift, dass das falsch war. Er ist 88 Jahre alt und zieht durch Schulen und trifft sich mit Klassen in Ballenstedt in der ehemaligen Napola (Anm. der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt), um den Schülern zu sagen, dass diese Ideologie falsch ist. Es ist eine krasse Geschichte, die natürlich hervorsticht.
Aber jeder andere Zeitzeuge interessiert mich genauso. Wenn es um das FDGB- Heim geht, also den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, oder eine alte Kellnerin aus einem Hotel. Die Menschen hängen sehr an den Gebäuden, sie haben dort ja zum Teil jahrelang gearbeitet. Das ist ein Teil ihres Lebens. Es ist einfach schön, den Menschen zuzuhören und mit ihnen zu reden. Wir erleben oft, dass Leute denken, es wäre uninteressant, was sie zu erzählen haben. Aber es ist immer interessant. Ein Beispiel: In der allerletzten Szene im Film, da geht es um eine alte Burgruine. Da haben wir einen alten Mann interviewt, der sein Leben dieser Burgruine gewidmet hat. Eine Ruine, die, so hart es klingt, kein Schwein kennt. Und der hat seine ganze Wohnung voll mit Bildern von 1800 und weiß alles über diese Ruine. Er war damals schon sehr krank, wollte aber unbedingt noch einmal hingehen. „Gut“, haben wir gesagt, „dann fahren wir mit Ihnen dahin und gucken uns das an.“ Da hat er sich total gefreut. Es hat eine Weile gedauert, bis der Film fertig wurde und dann haben wir dort angerufen, um ihn und seine Frau zur Premiere einzuladen. Seine Frau hat uns am Telefon erzählt, dass er vor zwei Monaten verstorben ist. Aber sie hat sich gefreut und gesagt: „Wissen Sie was, Herr Seifried, ich habe nie daran geglaubt, dass das rauskommt. Ich habe immer gesagt: ‚Mensch Gerhard, das interessiert niemanden. Das will niemand sehen.‘ Und er hat immer gesagt: ‚Nein, die waren so interessiert, ich bin mir sicher, das kommt raus.’“ Sie hat gesagt, er ist zwar verstorben und bekommt das nicht mehr mit, aber es ist trotzdem im Nachhinein eine Bestätigung, dass er Recht hatte.
WIE HABT IHR DIE ZEITZEUGEN GEFUNDEN?
Die Zeitzeugen haben wir meist gefunden, indem wir in den Dörfern einfach an den Türen geklingelt und gefragt haben, ob wer wen kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt … Damit sind wir oft ans Ziel gekommen. Einiges haben wir natürlich auch im Internet recherchiert und haben so auch den ein oder anderen Interviewpartner gefunden.
Weiterlesen / Fakten zum Film:
Link zum Trailer „Vergessen im Harz II“:
Mehr zum Dokufilm „Vergessen im Harz II“
http://www.rottenplaces.de/main/?p=22086
http://www.monika-herbst.de/2016/06/01/vergessen-im-harz-ii-eine-berührende-dokumentation/
Mehr über den Filmemacher und weitere Projekte:
http://www.overlight-film-fotografie.de/