Christoph Lieben-Seutter Generalintendant der Hamburger Elbphilharmonie, Hamburg
13. Juli 2016DIRK LÄSSIGCHEFKOCH UND GASTGEBER IM HOTEL STRANDHÖRN IN WENNINGSTEDT, SYLT
8. September 2016AUF SYLT GUCKT KEINER KOMISCH – AUCH, WENN DU ANDERS BIST
Die Nordsee-Insel Sylt gilt als das Urlaubsziel der Reichen und Schönen. Die Autorin und Gästeführerin Silke von Bremen lebt auf Sylt, auf einer Insel, auf der einerseits die Gäste unverhohlen ihren Reichtum zeigen, auf der andererseits die Einheimischen die teuren Häuser nicht mehr bezahlen können. Sylt ist eine Insel der Gegensätze: Sie bietet ihren Besuchern 40 Kilometer feinsten Sandstrand und den Tieren und Pflanzen zehn Naturschutzgebiete. Im Sommer befinden sich dort täglich 150.000 Menschen, bei nur 17.000 Einwohnern. Silke von Bremen erzählt von ihrem Leben auf der Urlaubsinsel und verrät ihre Lieblingsplätze.
Ich radle nach Keitum ins Heimatmuseum. Dort bin ich verabredet mit der Sylt-Kennerin überhaupt, Silke von Bremen. Sie lebt seit 27 Jahren auf der Insel und hat unter anderem das Buch „Gebrauchsanweisung für Sylt“ geschrieben. Ich gehe unter dem Wal-Kiefer am Eingang des Museums durch und werde herzlich von ihr begrüßt. Sie hat eine Thermoskanne mit Kaffee und frische Kirschen vom elterlichen Hof mitgebracht. Auf der Rückseite des Museums steht eine Bank. Hier sitzen wir, trinken Kaffee und spucken Kirschkerne auf den Rasen. Vor uns die herrliche Aussicht aufs Keitumer Watt.
IST DAS HEIMATMUSEUM DEIN LIEBLINGSORT AUF SYLT?
Mit diesem Ort bin ich eng verknüpft. Ich selber komme aus dem Alten Land bei Hamburg, von einem alten Obsthof. Im Studium habe ich meinen Mann Hans kennengelernt, der Sylter ist. Da war mir noch nicht klar, dass ich den nicht von der Insel wegbekomme. Als ich 1989 mit dem Studium fertig war und auf Jobsuche, bin ich hier Betreuerin des Museums geworden und habe in diesem Haus gewohnt. Da vorne war früher eine Bank, auf der haben wir manches Mal morgens gesessen. Die Sonne ging auf, wir haben gefrühstückt, Kaffee getrunken…. Das war ein Geschenk. Ich mag die Ostseite hier lieber als drüben den Strand. Wenn es stimmt, dass jeder Mensch einem der vier Elemente zugeordnet werden kann, ist es bei mir definitiv nicht Wasser (lacht).
WIE IST DAS LEBEN AUF DER INSEL?
Wenn man hier nicht groß geworden ist, ist die größte Herausforderung der Wechsel von Saison und Nicht- Saison. In der Saison lebt man in einer Gesellschaft, die ganz stark dominiert wird von Menschen im Freizeitmodus. Wer Urlaub macht, verhält sich anders, ist extrovertierter, freizügiger, trinkt mehr Alkohol. Was die Freizügigkeit angeht, haben wir hier großstädtische Verhältnisse, aber eigentlich ist Sylt dörflich. Trotzdem kannst du auf Sylt anders leben als die andern und keiner guckt komisch. Wenn hier jemand mit einem dicken Ferrari kommt, da zuckt niemand. Die Urlauber zeigen eben gerne, was sie haben. Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, geht es darum, das persönliches Leben und die sozialen Kontakte zu ordnen. Man muss ja irgendwohin können, wenn es einem nicht gut geht. Das hat bei mir lange gedauert. Und oft müssen Sylter schmerzvoll erleben, dass jemand nach zwei oder drei Jahren wieder wegzieht, weil er realisiert, dass er es hier nicht schafft. Deshalb sind die Insulaner anfänglich oft zurückhaltend. Und viele scheitern hier auch. Sie denken: „Mach auf dein Produkt das Label Sylt und dann verkauft sich das.“ So ist es aber nicht. Und in eine Freundschaft zu investieren, kostet nicht nur Zeit, unter Umständen auch Geld, sondern auch ganz viel Kraft und Herzenswärme. Es ist ein Verlust. Das ist etwas, was man wissen muss, wenn man nach Sylt zieht. Man muss Geduld mitbringen. Aber wenn man das geschafft hat, ist es einfach toll.
ABER DU HATTEST EINEN VORTEIL DURCH DEINEN MANN…
Ja, das stimmt. Er hat mich an die Hand genommen.
WIE LANGE DAUERT ES, AUF SYLT ANZUKOMMEN?
So nach zehn Jahren hat sich das schon gut angefühlt. Dass es so lange gedauert hat, hängt sicher auch damit zusammen, dass wir die ersten Jahre so oft umgezogen sind. Es ist ein großes Problem, auf Sylt bezahlbaren, schönen Wohnraum zu finden. Durch den Museums-Job konnten wir anfangs hier im Haus wohnen. Das war ein superguter Einstieg. Als ich gekündigt hatte, waren wir auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen und haben genau das erlebt, was alle anderen Sylter auch erleben: Wir sind hier fünf- bis sechsmal umgezogen, weil die Mietpreise oft nicht im Verhältnis zur Qualität der Wohnung stehen. Mittlerweile leben wir in einem wunderschönen Haus in Westerland, meiner Rückzugsburg und ich bin wirklich angekommen. In Keitum wohnt man zwar viel, viel schöner, aber wenn man älter wird, braucht man eine andere Infrastruktur wie den fußläufigen Bäcker, Ärzte, öffentlichen Nahverkehr und in dieser Hinsicht ist Westerland ideal. Ich könnte später sogar mit den Rollator zum Kurkonzert (lacht).
WENN DU DIE MÖGLICHKEIT HÄTTEST, AUF DER INSEL ETWAS ZU VERÄNDERN, WAS WÄRE DAS?
Man kann die Zeit ja leider nicht zurückdrehen. Aber das allgemeine Tempo nimmt zu, es wird alles immer mehr. Ich würde es wunderbar finden, wenn wir weniger Verkehr hätten. Die Strecken sind so kurz hier. Warum gibt es nicht mehr Elektromobilität?
EINE AUTOFREIE INSEL?
Vergiss es! Die Leute kommen hierher, um ihre Autos zu zeigen. Wir haben ja eine Klientel, die Sylt als Bühne nutzt. Sylt lebt von dieser Klientel, das ist unser Marketing.
WAS WÜRDEST DU DIR VON DEN TOURISTEN WÜNSCHEN? (ABGESEHEN DAVON, DASS SIE IHREN MÜLL NICHT AUF DEINER LIEBLINGSBANK LIEGEN LASSEN?)
Sie sollen die Insel nutzen, aber nicht benutzen. Es gibt unendlich viele, die sich nicht an die Regeln halten: Sie lassen ihre Hunde unangeleint durch das Naturschutzgebiet laufen oder stapfen selbst durch die Dünen, obwohl das die Insel und ihre Schätze gefährdet. Sie haben Kurtaxe und den teuren Autozug bezahlt und manch einer scheint zu glauben, die Regeln gelten nicht für ihn.
Ich möchte gerne Gäste, die bewusst mit Sylt umgehen. Goethe hat ja mal gesagt, je mehr ich weiß, desto mehr sehe ich. Ich versuche, die Wahrnehmung meiner Gäste zu verändern. Wenn sie das nächste Mal durch Keitum, Westerland oder Kampen gehen, werden sie Dinge bemerken, die sie vorher nicht gesehen haben und ein Verhältnis dafür entwickeln. Und wenn ich zu etwas ein Verhältnis entwickle, gehe ich damit auch besser und vorsichtiger um.
WAS SOLLTE MAN AUF SYLT UNBEDINGT SEHEN?
Den Tierpark in Tinnum. Er berührt die Seele. Die Tiere bewegen sich in liebevoll gepflegten Arealen und können dort teilweise gefüttert und gestreichelt werden. Ansonsten bin ich ein Fan von der Wattenmeerseite im Osten, wo wenig ist. Ich laufe dort sehr gerne, zum Beispiel von Morsum bis Kampen. Im Clubhaus vom Segelclub am Munkmarscher Hafen, das kaum jemand kennt, kann man prima essen oder Kaffee trinken.
AUF SYLT GIBT ES AUF KLEINSTEM RAUM DIE BESTEN RESTAURANTS. HABEN DIE TOURISTEN HIER EINEN ANDEREN ANSPRUCH?
Sylt hat eine tolle Küche. Ich meine jetzt gar nicht unbedingt die Sterneköche, da erwarte ich ohnehin, dass das Essen richtig gut ist. Aber was ich spannend finde: Wenn ich nach Braunschweig, Osnabrück oder so fahre und in einen einfachen Dorfkrug gehe, bekomme ich teilweise sehr schlechtes Essen. Schnitzel aus der Fritteuse mit diesem schrecklichen Salat und das kostet genauso viel wie hier, wo ich in einem normalen Mittelklasse-Restaurant sehr, sehr gute Qualität bekomme. Das ist der Unterschied. Konkurrenz beflügelt auch.
Unlängst bin ich zufällig in die neue Shirobar (http://shirobar.de) in der Keitumer Chaussee gestolpert. Die Sushis sind einfach nur großartig. Thomas Fechner und Andrea Meusel haben u.a. in der Sansibar gearbeitet und sind perfekte Gastgeber. Unbedingt vorher reservieren!
WAS WISSEN DIE WENIGSTEN ÜBER SYLT?
Ich finde nichts so spannend wie Geschichte. Du musst wissen, wo du herkommst, um zu wissen, wohin du gehst. Wer weiß schon, dass die erste deutsche Zahnärztin eine Sylterin aus ärmsten Verhältnissen war? Oder, dass die schlimmste Schiffs-Katastrophe nicht der Untergang der Titanic war, sondern der, der Wilhelm Gustloff. Das Schiff wollte im Januar 1945, während des zweiten Weltkriegs, mit Flüchtlingen von Gotenhafen in den Westen, wurde von sowjetischen U-Booten entdeckt und dann mit Torpedos beschossen. Tausende Menschen sind damals ertrunken. Der Kapitän war ein Keitumer.
Der größte deutsche Kriegsverbrecher, der nie zur Verantwortung gezogen wurde, war Heinz Reinefarth. Die Polen nannten ihn den „Schlächter von Warschau“, weil er damals mitverantwortlich war für die Niederschlagung des Aufstandes in Warschau 1944 und damit für ungeheure Gräueltaten. Die Polen waren so mutig und haben sich gegen die übermächtige deutsche Wehrmacht erhoben, das hat sich kein anderer europäischer Staat getraut. Nach dem Krieg kam Heinz Reinefarth nach Sylt und war hier zwölf Jahre lang unbehelligt Bürgermeister in Westerland. Das wurde nie aufgearbeitet. Vielen wird nicht gefallen, dass ich das erzähle. Aber ich finde, sowas muss man wissen.
Vielen Gästen auf Sylt ist Geld wichtig. Aber was wirklich wertvoll ist, ist die Erinnerung an jene Menschen, die vor uns hier waren, auf deren Leben wir aufbauen. Zum Beispiel die der Familie, die hier in dem Haus gelebt hat. Das Haus wurde 1759 gebaut. Inge, die hier mit ihrem Mann gewohnt hat, hat alle ihre fünf Söhne zur See verloren. Sie hat sie nicht mal beerdigen können. Furchtbar. Es gibt einen wunderschönen Grabstein von ihr und ihrem Mann. Da ist eingemeisselt: „Ruhe, bis wir auferstehen. Herrlich und vereinigt gehen in des Himmels Freude.“ Die hatten das große Glück, sie waren so fest im Glauben, dass sie sicher waren, ihre Söhne wiederzusehen. So konnten sie weiterleben. Solche Geschichten möchte ich meinen Gästen mitgeben. Dann weiß ich, dass sie sich mit mehr Respekt hier bewegen.
Mehr über Silke von Bremen auf ihrer Webseite: http://www.guideaufsylt.de
Zur Entstehung der Portraits:
Das Motiv für das Portrait springt mir am Treffpunkt direkt ins Auge: Das Heimatmuseum ist in einem wunderschönen, reetgedeckten Friesenhaus untergebracht. An der Fassade ist ein Schild montiert, auf dem steht: „Heimatmuseum“. Heimat, darum soll es auch in unserem Gespräch gehen. Silke von Bremen setzt sich auf die Lehne der Bank. Dadurch ist ihr Kopf nah genug am Schild dran. Außerdem wirkt das Foto dadurch lockerer. Das erste Bild ist fertig.
Silke von Bremen selbst hat auch noch einen Fotowunsch: Sie ist 1959 geboren, genau 200 Jahre später als das Heimatmuseum gebaut wurde. Die Jahreszahl, 1759, steht an der Front des Museums. Sie stellt sich für das Foto in die Mitte. Der Himmel ist an dem Tag bedeckt, das Licht dadurch herrlich diffus. Ich habe ein weich ausgeleuchtetes Motiv, keine Sonne und keinen Schatten, die stören.